Einleitung von Peter M. Stajkoski
Im Jahre 2014 feierten wir das 175. Jubiläumsjahr der Fotografie, die von Anfang an auch als Portrait- und Aktfotografie umwälzend die Abbildung des Menschen als Sujet aufnahm. Ziel des jules-richard-museum.com Museums ist es, eine enzyklopädisch anmutende Bestandsaufnahme von den Anfängen der Aktfotografie als Monobild und in Stereo bis zur Gegenwart anhand von zahlreichen Stereobildern einer breiten Öffentlichkeit darzustellen. Im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Stereofotos von Stadt- und Landschaftsansichten, aber auch Genre- und Comicbilder ein allseits beliebtes, faszinierendes Fotosujet, dass den Betrachtern die fernen Länder und die Gewohnheiten unbekannter fremder Rassen illustrierte und dadurch näherbrachte. Das war auch die Zeit der großen Weltausstellungen, die Besucher konnten und mussten auch nicht verreisen, die „Welt“ kam nach London, Paris, New York, Dublin, Wien, Berlin, Philadelphia und wo sonst auch immer.
Trotz der Renaissance der 3D-Filme im Kino und Fernsehen ist die Stereofotografie heute nur relativ wenigen Experten vorbehalten und auch der Einsatz der neuen digitalen 3D-Kameras hat dies nicht wesentlich verändert.
Der Erfinder des heute noch gebräuchlichsten Stereobetrachters Oliver Wendell Holmes hat vor 150 Jahren den Satz geprägt: „Photography is a mirror with a memory“. Nutzen wir diesen Spiegel, denn die Fotografie machte zugleich die abgebildeten Personen ein wenig unsterblich, konservieren ihr Image bis in eine ferne Zukunft, bzw. so lange, wie die Speichermedien reproduzierbar bleiben. Die Fotografie mechanisierte die Portraitstudien und machte sie mit fortschreitender Technik für jeden erschwinglich. Das Gleiche passierte allerdings zeitgleich mit der Pornographie. Beide wurden von einem reichen Luxusgut zu einem populären Allgemeingut. Der schöpferische Vorgang war nicht nur schneller als die Malerei zu bewältigen, die Darstellung weit realistischer und nicht mehr absichtlich geschönt und das Werksergebnis konnte erheblich preiswerter angeboten und verkauft werden.
So ist es nicht verwunderlich, das zu Beginn der Fotografie viele Maler umsattelten und sich der Fotografie verschrieben. Dennoch kann auch in der Fotografie ein objektiver Tatbestand je nach Gustos des Fotografen sehr unterschiedlich abgelichtet werden.
Hauptstadt der Aktfotografie war im 19. Jahrhundert Paris und schon Daguerre soll 1939 ein Foto hergestellt haben auf dem zwei Akte abgebildet waren. Diese Aufnahme soll erst 1955 entdeckt worden sein. Allerdings waren dies wegen der langen notwendigen Belichtungszeiten nur eine männliche und eine weibliche Skulptur. Erst ab 1841 war es möglich die Belichtungszeiten zu verkürzen und damit auch lebende Sujets aufzunehmen. Ermöglicht wurde dies durch eine Optik aus zwei Linsenkörpern und durch eine erhöhte Lichtempfindlichkeit der Daguerrerotypieplatte. Aber selbst nach diesen technischen Weiterentwicklungen war die Belichtungszeit noch etwa 30 Sekunden lang; so lang, dass die Modelle bei den ersten Aktaufnahmen in Holzgestellen, postiert hinter der aufgenommenen Person, gestützt werden mussten.
Nacktheit war und ist auch heute bei primitiven Völkern eine Natürlichkeit, wird akzeptiert als ein Lebensumstand und wurde nur unter entsprechenden klimatischen Verhältnissen zum Schutz des Körpers aufgegeben. Die Griechen idealisierten die Nacktheit bereits im 5. Jh. vor Christi Geburt, sie machten einen Kult aus dem männlichen und weiblichen Körper, suchten in beiderlei Geschlecht die ultimative Perfektion in Form und Proportionen. Ihnen schien es wichtig, ihren Körper gut zu konditionieren, um ihn stolz zeigen zu können. Die denkbaren Leistungen dieser Körper wurden in den Olympischen Spielen untereinander gemessen und der Sieger hoch dekoriert.
Der moderne Mensch des19. Jh. unterdrückte die Nacktheit unter einer Last von sozialen, bürgerlichen und religiösen Tabus. Alle drei sehr unterschiedlichen Verhaltensweisen, aber auch komplizierte Mixturen hieraus fanden Eingang in die Fotografie. Der nackte Mensch wurde als „Künstlermodell“ dargestellt oder als „Nachbildungen aus der Antike“, man schrieb „ethnologisch wissenschaftliche Werke“ und „Rassenkunden“ um fremdartige Menschen nackt darstellen zu können oder man brachte die Aktfotos ohne namentliche Nennung des Fotografen zur Belustigung in Abendgesellschaften der Herren auf den Markt. Das Geschäft blühte und es verstärkte sich der Absatz noch, wenn die geliebten erotischen Fotos mit den entsprechende Stereobrillen in 3D betrachtet werden konnten. Der bereits vor über hundert Jahren geprägte Satz „Ohne Zweifel vermag nichts den Blick so auf sich zu lenken, wie der nackte menschliche Körper“ hat auch heute noch seine absolute Gültigkeit.
Ziel des Jules Richard Museums ist es aber auch die Veränderungen in der gesellschaftlichen Moral am Beispiel dieser eindimensionalen Fotos und der Stereoakte, die mit Ausnahme der pornografischen Aufnahmen im 19. Jh. fast ausschließlich weibliche Motive zeigten, sichtbar zu machen. Der nackte Mann tritt als Sujet erst Anfand des 20. Jh. verstärkt in den Vordergrund, Zielgruppe waren hier homosexuelle Männer.
All diese Bilder dokumentieren sowohl den Wandel von Schönheitsidealen und Moralvorstellungen der Fotografen als auch den Hang zu Selbstinszenierungen der Dargestellten. Sie belegen die Wandlung des Idealbildes der begehrenswerten Frau aus dem 19. Jahrhundert über die knabenhaften und emanzipierten Gestalten der zwanziger Jahre, die Darstellung der Naturverbundenheit inkl. der Freiheitssignale der FKK Aufnahmen, zeigen aber auch ambitionierte künstlerische Darstellungen in realen oder abstrahierten und labortechnisch bearbeiteten Abbildungen bis hin zu intimsten, zur Schau gestellten, Ausschnitten des Körpers im 20. und 21. Jahrhundert.
Das Breitbandspektrum der zweidimensionalen Fotografie findet sich auch in den Stereoaufnahmen wieder. Es geht von der Werbung über den Bildjournalismus, die Ethnologie, die künstlerischen Akte der ernsthaften Kunstfotografen, über viele private Ablichtungen und Intimfotos mit selbst darstellerischem Charakter bis zu obszönen Darstellungen einzelner spezifischer Primärmerkmale. Bereits in den Anfängen der Fotografie geht es nicht nur um die Portraits der Köpfe oder des gesamten Körpers der dargestellten Person, sondern auch um „Zur Schaustellung der Sexualität“, um Pornografie zur Befriedigung monetärer Interessen der Fotografen und Vertriebspersonen und der voyeuristischen Neigungen der Käufer und Betrachter.
Das Jules Richard Museum zeigt eine Dokumentation der Historie der Stereofotografie und kann damit allen Foren der Akt- und Stereofotografie als Diskussionsgrundlage zur Ästhetik der „Lichtbildnerei“, der künstlerischen Aussagen der Fotografen, aber auch absoluter Absagen und Geschmacklosigkeiten an Bildmotiven und Darstellungsweisen dienen.
Es ist jedoch nicht nur das betrachtende Auge, dass die Inhalte in der Bildinterpretation lenkt, sondern vor allen Dingen die Intuition des Fotografen bei der Aufnahme und das oft beabsichtigte Vertriebsziel einer Gewinnmaximierung.
Im Jules Richard Museum werden in jeweils identischer Abbildungsgröße zu den Originalaufnahmen, teils aber auch in zur besseren Betrachtung in Vergrößerungen, 1000 Stereoaktfotos meiner in langen Jahren aufgebaute Sammlung an Lichtbildern von Körpern gezeigt. Vergrößert dargestellt wurden nur die Aufnahmen aus Serienkarten, Viewmaster-Rundbildern und Kleinbild-Diaformaten, da diese ohne ihre speziellen Betrachtungs-geräte nicht angeschaut werden könnten. Die meisten Darstellungen sind Stereodoppelbilder, die in allen Größenabbildungen mit der überall im Museum hängenden bzw. herumliegenden Stereobrille, einer Lorgnette, räumlich betrachtet werden können, zur Betrachtung der kleineren Anzahl an Anaglyphenbildern liegen die notwendigen Farbbrillen ebenfalls bei den ausgestellten Objekten.
Für den ambitionierten Sammler enthält die Internetseite in der Rubrik Hintergrundwissen eine von mir entwickelte Übersichtsmatrix zur Bestimmung des Alters der Original-Exponate der zusammen getragenen Schätze.
Unzählige Reproduktionen alter Stereoaufnahmen, insbesondere bei den Aktaufnahmen, kursieren heute im Internet in Form von Fotoabzügen und als Image auf CDs. Wenn man nur an den Bildinhalten interessiert ist, mag es ein preiswerter Einstieg in das Sammelgebiet sein, denn viele Originalaufnahmen sind heute, wenn überhaupt noch, auf dem Markt erhältlich, meist zu Schwindel erregenden Preisen zu erwerben.
Sehen sie hierzu historische Beispiele: 2D-Aktphotos und 3D-Aktphotos, weitaus mehr sind nur vor Ort zu entdecken!
Peter M. Stajkoski